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Art des Zwischenfalls

Im Rahmen eines Notrufs wurde die Einnahme einer höheren Dosis "Tabletten" Thallium(I)-acetat mit jetzigem Erbrechen des Patienten gemeldet. Eine Internet-Kurzrecherche des aufnehmenden ILS-Disponenten ergibt "Globuli" im Kontext des Wortes "Medikament"; im Rahmen der Bearbeitung des Notrufs wird hieraus keine Gefährdung erkannt. Außerdem wurde vom Anrufer eine Dosis von 25 Milligramm genannt statt 25 Gramm, die tatsächlich vom Patienten eingenommen worden waren.
Der durch die alarmierte Rettungsdienstbesatzung kontaktierte Giftnotruf teilte mit, dass die letale Dosis bei Thallium(I)-acetat bei einem Gramm liegen würde und in den ersten Stunden Symptome wie Übelkeit/Erbrechen auftreten würden. Erschwerend hierbei war, dass es bei einer Giftnotrufzentrale zu sehr langen Wartezeiten kam und deshalb eine zweite Giftnotrufzentrale kontaktiert wurde.
Bei Thallium(I)-acetat handelt es sich um einen giftigen Stoff und damit gelten in analoger Anwendung für den Rettungsdienst die Grundsätze nach FwDV 500, nämlich (aus Sicht der Einsatzkräfte) eine Kontamination zu vermeiden bzw. so gering wie möglich zu halten und eine Inkorporation auszuschließen. Es verbietet sich daher den Giftstoff selbst oder damit belastetes Material (Mageninhalt etc.) zu berühren und damit auch weiter zu verteilen. Eine Inkorporation ist auszuschließen und dazu gehört auch der etwaige Aufnahmeweg über die Haut. Beispielsweise mit dem Handrücken (natürlich mit Schutzhandschuh) sich den Schweiß aus dem Gesicht wischen muss also auf jeden Fall unterlassen werden. 

 

Ursache

Kernproblem des Falls:
Statt des giftigen Stoffes "Thallium(I)-acetat" wurde durch die ILS nach dem Begriff “Thalliumacetat” recherchiert. (Anmerkung: Mittlerweile, vermutlich durch die vielen Suchanfragen einer Thalliumvergiftung, sieht das Google-Ergebnis hier anders aus. Zum Ereigniszeitpunkt war im Ergebnis aufgeführt: div. chemische Formeln, Globuli, ein Treffer mit Haarausfall und ein Ergebnis für Wiederkäuer.) Deshalb wurde die potentielle Gefahr für die Einsatzkräfte durch die ILS nicht an den Rettungsdienst übergeben.

 

Fehlerbegünstigende Faktoren (nach London-Protokoll):

  • organisations‐ und managementabhängig:
    • Es gibt für die ILS bzw. für den Rettungsdienst keine bevorzugte Telefonnummer eines Giftnotrufes. Aus diesem Grund war eine "schnelle" Kontaktaufnahme mit dem Giftnotruf in diesem Fall nicht möglich gewesen.
  • aufgaben‐ und prozessabhängig:
    • Es existieren keine Strukturen in bayerischen ILS, die Disponentinnen und Disponenten akute Hilfestellungen bei der Abfrage von Notrufen mit unbekannten Stoffen bieten. Sämtliche Strukturen (z.B. das Transport - Unfall - Informations- und Hilfeleistungssystem (TUIS), Analytische Task Forces (ATF) etc.) sind mit entsprechendem Vorlauf bzw. eingeschränkt 24/7 telefonisch erreichbar - eine Information bei der Initialalarmierung an die Einsatzkräfte kann somit hierdurch nicht sichergestellt werden. Ein Zugriff auf im Internet frei zugängliche Nachschlagewerke wie zum Beispiel Rote Liste, Gelbe Liste, GESTIS-Stoffdatenbank ist nicht unmittelbar über das Einsatzleitsystem möglich, sondern es muss sich eines Subsystems im Verwaltungsnetz bedient werden.
    • Schulungen und Einweisungen, welche Nachschlage- / bzw. Recherchemöglichkeiten es gibt, sind dadurch nicht bayernweit einheitlich vorhanden und liegen in der jeweiligen Verantwortung des ILS-Betreibers..
  • arbeits‐ und umfeldabhängig:
    • In der ILS existiert keine Recherchemöglichkeit für "unbekannte Stoffe". Mittels der in nahezu allen ILS vorhandenen Gefahrstoffdatenbank "Memplex" hätte der Stoff gefunden werden können, da es sich bei Thallium(I)-acetat um einen giftigen Stoff handelt. Dadurch, dass der Mitarbeitende in der ILS aber von einem Medikament ausging, wurde statt "Memplex" eine Internetrecherche durchgeführt (Medikamente sind in Memplex nicht zu finden)
  • individuell:
    • Bei der Notrufaufnahme wurde durch den Anrufer "25 Milligramm" als Mengenangabe des eingenommenen Stoffes genannt. Dies stellte sich bei Ankunft des Rettungsdienstes als falsch heraus (richtig wäre 25 Gramm gewesen). Ob und ggf. auf welcher Art eine Prüfung auf Plausibilität durch die ILS (zu welchen Mengeneinheiten ist der genannte Stoff erhältlich bzw. im Umlauf) erfolgte, ist nicht bekannt.

 

Fehlerhafter Vorgang:

Im vorliegenden Fall wurde bei der Notrufabfrage eine falsche Mengenangabe durch den Anrufer genannt und aufgrund des unzureichenden Ergebnisses einer Internetrecherche eine Gefahr durch einen giftigen Stoff nicht an die Rettungskräfte weitergegeben..

 

Vom AAT vorgeschlagene Interventionsmaßnahmen

  • Schaffung einer Recherchemöglichkeit in den ILS für gefährliche Stoffe inklusive Medikamente, damit künftig in solchen Fällen qualifiziert recherchiert werden kann und nicht auf allgemeine, nicht fachspezifische Suchmaschinen wie z.B. Google zurückgegriffen werden muss.
  • Überarbeitung der Empfehlung des Rettungsdienstausschusses Bayern zur Strukturierten Notrufabfrage in Integrierten Leitstellen in Bezug auf Notrufe mit giftigen Stoffen.
  • Schaffung einer direkten Zugangsmöglichkeit zu einer beratenden Einrichtung (z.B. Giftnotruf) für die ILS mittels einer Direktwahlnummer. Damit wird ermöglicht, dass die ILS nicht mehr auf die öffentlich bekannte Rufnummer angewiesen ist und dadurch als Fachanwender mit prioritären Anliegen bei der entsprechenden Einrichtung identifiziert werden kann.
  • Bayernweite Schulungsmaßnahmen für Disponentinnen und Disponenten ILS zum Thema "Recherche von unbekannte Stoffen" sowie Schulungsmaßnahmen für Rettungsdienstpersonal zum Umgang mit Schaffung eines bayernweiten Konzeptes (ILS + Rettungsdienst) zum Umgang mit kontaminierten Erkrankten oder Verletzten.
    Diese Schulungen sollen im Ergebnis keinen Ersatz zur fundierten Einschätzung von Experten (wie z.B. Giftnotrufzentralen) darstellen, sondern einen schnellen Gefahrenhinweis für alle Beteiligten ermöglichen.
  • Bayernweit einheitliche Schulung des Rettungsdienstpersonals in Bezug auf korrekte persönliche Schutzausrüstung zu achten (Handschuhe, Augenschutz, etc. ….), da es auch Notfälle gibt, bei denen im Vorhinein keinerlei Hinweise auf einen Giftstoff/Gefahrstoff vorliegen. Ferner sollte in den Schulungen dem Rettungsdienstpersonal vermittelt werden, an jeder Einsatzstelle z. B. diese Gefahrenmatrix anzuwenden (vgl. hierzu auch das Mitführen von CO-Warngeräten). Diese Themen könnten in der jährlichen RD-Fortbildung aufgegriffen werden und somit für zusätzliche Sensibilisierung sorgen.

 

Diese Meldung wird inhaltlich verantwortet von L. Fuchs, F. Dax, T. Drevermann und M. Harrer unter Einbeziehung weiterer Fachexperten.

 

Hinweis

Bitte beachten Sie, dass nicht jede durch ein AAT vorgeschlagene Interventionsmaßnahme auch durch die Steuerungsgruppe unmittelbar beschlossen werden kann. Nach erfolgter Beratung über die vorgeschlagenen Maßnahmen bzw. deren Umsetzung und unter Berücksichtigung finanzieller oder rechtlicher Aspekte werden nötigenfalls Änderungen innerhalb der beteiligten Organisationen und Institutionen getroffen. Die Steuerungsgruppe ist in einem solchen Fall immer bemüht, durch Abwandlung der Interventionsmaßnahme eine Umsetzbarkeit herzustellen. Leider ist dies jedoch nicht in jedem Fall möglich.
Bitte beachten Sie auch, dass die Lösungsvorschläge nicht immer bzw. nicht immer zeitnah und in gleicher Form für ganz Bayern umgesetzt werden können.
Aus Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit sind die von der Steuerungsgruppe beschlossenen Maßnahmen nicht einzeln bei der jeweiligen Meldung aufgeführt, sondern als Übersicht unter Interventionsmaßnahmen.

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