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Art des Zwischenfalls

Die Bergwacht wird aufgrund des Meldebildes „bewusstlose Person mit Verdacht auf Kreislaufstillstand“ zu einem Notarzteinsatz auf eine Forststraße alarmiert. Bei Einsatzübernahme durch den diensthabenden Einsatzleiter Bergrettung (EL-BR) läuft bereits die T-CPR. Der EL-BR lässt sich zunächst die Örtlichkeit "Forststraße" von der ILS bestätigen. Dass noch kein Notarzt alarmiert wurde, ist nicht Gegenstand der Unterhaltung, der Disponent wartet auf die entsprechende Anforderung. Erst nach ca. 5 min erfährt der Einsatzleiter dies auf Nachfrage und triggert dann verzögert die Alarmierung von Land-Notarzt und RTW zu dieser problemlos für Straßenfahrzeuge erreichbaren Einsatzstelle. Die ersteintreffende Bergwachtmannschaft, die sich zufällig an einer nahegelegenen Bergrettungswache befunden hatte, ist ca. 4 min vor dem Landrettungsdienst am Patienten.
Eine einsatzstrategisch vergleichbare Konstellation beschreibt eine ähnliche Meldung: Die ILS alarmiert den Einsatzleiter Bergrettung zu einer bewusstlosen Person auf dem Weg zu einer Berghütte, die „bekanntermaßen“ leicht mit dem PKW erreichbar ist. Der EL-BR nahm deshalb an, der Notarzt sei bereits mitalarmiert worden. Die ILS wiederum hat, obwohl klar als RD2 erkannt, gemäß Verfahrensanweisung nur den EL-BR alarmiert und auf weitere Anforderungen gewartet. Dass der zwingend erforderliche Notarzt noch nicht alarmiert war, war nicht Gegenstand des Übergabegespräches. Erst nachdem der EL-BR den Meldenden per Handy erreicht, erfährt er, dass es sich um eine laufende Reanimation handelt. Als er dies an die ILS rückmeldet und nach dem disponierten Notarzt fragt, erfährt er, dass noch kein Notarzt alarmiert sei. Die Verzögerung der Alarmierung von Notarzt und RTW beträgt auch hier etwa 5 min.

 

Ursache

Kernproblem des Falls:
Bei zeitkritischem Einsatz mit klarer Notarztindikation im unwegsamen Gelände wird aufgrund eines Kommunikationsproblems zwischen der ILS und dem alarmierten Einsatzleiter Bergrettung die Notarztalarmierung unnötig verzögert.

 

Fehlerbegünstigende Faktoren (nach London-Protokoll):

  • organisations‐ und managementabhängig:
    • Einsätze im Gebirge erfordern, dass die ILS auf externe Sachkunde des EL-BR zurückgreift
    • evtl. konkurrierende Kompetenzvorstellungen der beteiligten Institutionen (ILS, Einsatzleiter, bodengebundener Notarzt, Bergwacht-Notarzt, Landrettungsdienst, Bergrettung)
  • aufgaben‐ und prozessabhängig:
    • ggf. keine strukturierte Kommunikation im Rahmen der Erteilung des Einsatzauftrags
    • keine schriftliche SOP zum Inhalt des Alarmierungsgespräches zwischen ILS und Einsatzleiter Bergrettung
    • Vorgaben in unterschiedlichen, nicht in allen Punkten deckungsgleichen Dokumenten hinterlegt
  • arbeits‐ und umfeldabhängig:
    • komplexe Arbeitsumgebung Gebirge mit starker technischer Komponente
    • fließender Übergang über unwegsames Gelände in „Mischgebieten“ bis hin zur Straßenrettung mit vorrangig medizinischem Fokus
    • Örtlichkeit evtl. aufgrund mangelhafter Vorplanung, aber auch wetter- und jahreszeitenbedingt im Einzelfall oft nur schwer durch den Disponenten einzuschätzen
    • erschwerte Kommunikation mit dem Melder (Handynetz, Akku, emotionale Belastung etc.)
  • teamabhängig:
    • evtl. keine einheitliche/ „korrekte“ Vorstellung von Sicherheitskultur, „Speaking Up“ etc.
      • fehlendes gemeinsames mentales Modell
      • fehlende Formulierung der gegenseitigen Erwartungen, unausgesprochene Gedanken
    • Annahmefehler / Missverständnis über die (nicht) erfolgte Erstalarmierung
      • Stichwort "Notarzteinsatz" gefallen?
      • „T-CPR läuft“ gesagt oder nur gedacht?
      • „noch kein Notarzt alarmiert“ gesagt oder nur gedacht?
  • individuell:
    • ggf. differente Lagebewertung aufgrund individueller Unterschiede in der Ortskunde zwischen ILS-Disponent und EL-BR

 

Fehlerhafter Vorgang:
Ein ILS-Disponent führt ein Telefonat mit einem Melder und indiziert auf Grundlage der ihm vorliegenden Informationen einen Notarzteinsatz für eine bewusstlose Person. Aufgrund der Einsatz-Örtlichkeit im „unwegsamen Gelände“ alarmiert er den Einsatzleiter Bergrettung. Im Alarmierungs-Gespräch zwischen ILS und EL-BR wird offenbar nicht thematisiert, welche Rettungsmittel bereits alarmiert wurden bzw. dass noch kein Notarzt alarmiert wurde. Die Folge ist, dass es den beiden nicht gelingt, ein gemeinsames und zutreffendes mentales Modell herzustellen:

  • Der EL-BR nimmt vermutlich an, Notarzt und RTW seien bereits alarmiert.
  • Der Disponent nimmt vermutlich an, der EL-BR würde sich schon melden, wenn er entschieden hätte, welcher Notarzt alarmiert werden soll.
  • Die Frage des Einsatzleiters nach bereits aktivierten Rettungsmitteln unterbleibt zunächst.
  • Es fand offenbar keine weitere Re-Evaluierung seitens des Disponenten statt, obwohl er zu diesem Zeitpunkt der Einzige war, der sicher wissen konnte, dass noch keine Notarztalarmierung stattgefunden hat.
  • Es verstrichen 5 min, bis dieses Missverständnis aufgeklärt und der Notarzt aktiviert werden konnte.

 

Ergänzende Anmerkung:
Laut AVBayRDG leitet und koordiniert der Einsatzleiter Berg- und Höhlenrettung den Einsatz im Gebirge, im unwegsamen Gelände und in Höhlen, bis die verletzten, erkrankten oder hilflosen Personen an den Land- oder Luftrettungsdienst übergeben sind (§ 14 (3)). Zwar legt die Alarmierungsbekanntmachung (ABek) unter Punkt 2.4 fest, dass für o.g. Einsätze zunächst die zuständige Bergrettungswache und der EL-BR alarmiert wird, und im Falle des Vorliegens einer Notarztindikation der EL-BR festlegt, welcher Notarzt (Land-, Luft-, Bergrettung) zum Einsatz kommt.
Zugleich aber ist es dem Disponenten gemäß einer Empfehlung des Rettungsdienstausschusses Bayern zu Recht möglich, in Situationen, in denen an Hand des Meldebildes das Einsatzgeschehen völlig klar ist, der Patient dringendst einer notärztlichen Hilfe bedarf (s. Diagnosen Feld 1 der 4-Felder-Matrix), die Lokalität bekannt ist, keine Witterungsgründe dagegen sprechen und ein Absetzen der medizinischen Besatzung sicher möglich ist, bereits parallel zum Einsatzleiter Bergrettung das arztbesetzte (Luft-) Rettungsmittel zu alarmieren (Seite 10 dieser Empfehlung). Falls innerhalb kurzer Frist kein Erstkontakt zum EL-BR hergestellt werden kann, alarmiert die ILS vorläufig die aus ihrer Sicht notwendigen und geeigneten Rettungsmittel (vgl. IMS ID3-2287.10-74 vom 27.12.2013).

Sowohl die Pluralität der Vorgaben als auch der zusätzliche Kommunikationsbedarf bergen Potenzial für die Missverständnisse, wie die hier diskutierten CIRS-Fälle eindrucksvoll demonstrieren:
Im rettungsdienstlichen „Normalfall“ außerhalb unwegsamen Geländes hätte ein vergleichbares Notrufgespräch direkt zu einem „Notarzteinsatz, RD2“ mit entsprechender Alarmierung geführt. Man muss unterstellen, dass dies auch dem EL-BR bewusst ist, der möglicherweise die problemlos zugängliche Einsatzstelle so gut kennt, dass er von vornherein von einer bereits erfolgten RTW- und Notarzt-Alarmierung ausgeht (Stichwort „höchste Dringlichkeit“ im Rahmen der 4-Felder-Matrix, s. oben). Ganz sicher hätte die ILS-seitige Nachfrage „Notarztindikation, welchen Notarzt soll ich alarmieren?“ zur unverzüglichen Klärung beigetragen. Es ist nicht erkennbar, ob und ggf. wann die ILS von sich aus die Notarzt-Alarmierung vorantreibt bzw. vorangetrieben hätte. Aber auch der Einsatzleiter Bergrettung hätte sich hier primär versichern müssen, welche Rettungsmittel bereits alarmiert sind.

 

Erkennbar implementierte Barriere‐/Abwehrmechanismen:
Die erste Kontaktaufnahme von ILS und EL-BW hat offenbar nicht zu einem gemeinsamen mentalen Modell der Einsatzsituation geführt. Nach der Entscheidungsfindung durch den EL-BR wird die Erstalarmierung jedoch geklärt. Die ILS hat mittels T-CPR das therapiefreie Intervall überbrückt. Durch die Nähe von Bergwachteinsatzkräften kann zudem die Alarmierungsverzögerung teilweise abgepuffert werden.

 

Vom AAT vorgeschlagene Interventionsmaßnahmen

Es handelt sich bei den beschriebenen Fällen um klassische Schnittstellenprobleme, hier an der Schnittstelle ILS <-> Einsatzleiter, denen am ehesten mit einer standardisierten Kommunikation und der Anwendung von CRM/TRM-Prinzipien beizukommen sein dürfte.

  • Dabei sollte, z.B. unter Nutzung standardisierter Schemata wie SBAR, sichergestellt werden, dass folgende Gesprächsinhalte transferiert werden:
    • eindeutige Benennung der medizinischen Einsatzkonstellation (unverletzt, rein technische Rettung/ Notfalleinsatz/ Notarzteinsatz mit entsprechender Priorität)
    • eindeutige Benennung der bereits erfolgten Alarmierungen und insbesondere auch der noch nicht alarmierten, aber als zwingend erachteten medizinischen Kräfte (insbesondere Notarzt)
    • Betonung der Notwendigkeit, bei akutem, nicht adressiertem Handlungsbedarf bzw. nicht plausibel erscheinenden Konstellationen diese(n) konkret anzusprechen und gemeinsam Lösungen zu finden („Speaking Up“). Dieses „Speaking Up“ sollte selbstverständlicher und wertgeschätzter Teil von Alarmierungsgespräche und laufender einsatzbezogener Kommunikation bis Einsatzende sein.
  • Es erscheint empfehlenswert, eine gemeinsame SOP für den Alarmierungsablauf zu erstellen, zu implementieren und zu beüben.
  • Ergänzend könnte es sinnvoll sein, die sog. Mischgebiete so weit als möglich vorzuplanen. Hierbei ist zu beachten ist, dass die Befahrbarkeit insbesondere nicht oder inkonstant geräumter Forststraßen v.a. in Übergangszeiten durch die ILS praktisch nicht einzuschätzen ist und im Zweifel immer der EL-BR, ausgestattet mit allen erforderlichen medizin-strategischen Informationen, der primäre Ansprechpartner bleiben dürfte und müsste.

 

Diese Meldung wird inhaltlich verantwortet vom Leiter des AAT 7, PD Dr. M. Dittmar, in Abstimmung mit Vertretern der Bergrettung und ILS im AAT von cirs.bayern.

 

Hinweis

Bitte beachten Sie, dass nicht jede durch ein AAT vorgeschlagene Interventionsmaßnahme auch durch die Steuerungsgruppe unmittelbar beschlossen werden kann. Nach erfolgter Beratung über die vorgeschlagenen Maßnahmen bzw. deren Umsetzung und unter Berücksichtigung finanzieller oder rechtlicher Aspekte werden nötigenfalls Änderungen innerhalb der beteiligten Organisationen und Institutionen getroffen. Die Steuerungsgruppe ist in einem solchen Fall immer bemüht, durch Abwandlung der Interventionsmaßnahme eine Umsetzbarkeit herzustellen. Leider ist dies jedoch nicht in jedem Fall möglich.
Bitte beachten Sie auch, dass die Lösungsvorschläge nicht immer bzw. nicht immer zeitnah und in gleicher Form für ganz Bayern umgesetzt werden können.
Aus Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit sind die von der Steuerungsgruppe beschlossenen Maßnahmen nicht einzeln bei der jeweiligen Meldung aufgeführt, sondern als Übersicht unter Interventionsmaßnahmen.

 

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