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Veröffentlichung des Falls am 06.04.2019

Art des Zwischenfalls

Während der Versorgung eines potentiellen Sepsispatienten (qSOFA 2-3 Punkte erfüllt; frustrane Zugangsanlage, i.o. nicht möglich) wurde der Fahrer (RettAss) des RTW gebeten ein "Sepsis-Bett" auszumachen, ohne durch den angehenden NotSan, der den Einsatz leitete, darüber informiert zu werden, welche Versorgungsstufe dieses Bett haben sollte (Normal-Intern vs. IMC vs. ITS). Der erfahrene RettAss gab seinerseits an die ILS auch nur die Information "Sepsis-Bett" ohne nähere Spezifizierung weiter, da seiner Meinung nach eine Sepsis routinemäßig als Intensiv-Bett anzumelden sei. Der ILS-Disponent meldete in einem Krankenhaus ein Normal-Internes Bett an und informierte die Besatzung über das Fahrtziel ohne darauf hinzuweisen um welche Art von Bett (Intern / IMC / ITS) es sich dabei handelte. Nach kurzer Fahrtzeit im Krankenhaus angekommen wurde vom Fahrer versucht (während angehender NotSan und Beifahrer (RettAss) den Patienten ausluden), den Patienten auf der ITS anzukündigen, die jedoch (weil Patient nicht dafür angemeldet) an die Notaufnahme verwies. Dort angekommen verweigerte der zuständige Oberarzt die Aufnahme, weil der inzwischen weiter eingetrübte (sonst vital unveränderte) Patient auf einer Normalstation oder in der Notaufnahme nicht führbar sei und die ITS des Hauses nach seinen Informationen abgemeldet sei. Bei der Übergabe wurde der Hinweis auf das Fehlen einer Volumentherapie vergessen. Der Patient stand während der sich nun, wie unten beschriebenen, entwickelnden Situation mit der Fahrtrage mehrere Minuten ohne weitergehende Versorgung (Zugang,...) im Flur der Notaufnahme. Der weitere Verlauf gestaltete sich wie folgt:

  • Die RTW Besatzung forderte frühzeitig für eine Verlegung einen Notarzt nach (beim Primäreinsatz wurde zugunsten eines schnellen Transports in die Klinik darauf verzichtet) und ließ durch die ILS nach einem ITS-Bett suchen (5min.*)
  • Der Oberarzt telefonierte später mit der Intensiv-Station mit der Bitte um eine Einschätzung der Stationsärzte vor Ort (8min.*)
  • Ein Mitglied einer anderen RTW-Besatzung etablierte einen 20G i.v. Zugang (10min.*), es wurde mit der Volumen-Gabe begonnen
  • Die Stationsärzte der ITS entschieden sich, den Patienten zu nehmen (15min.*)
  • Die ILST wurde darüber Informiert (16min.*)
  • Der Patient wurde in der Notaufnahme auf ein normales Krankenhaus-Bett (22min.*) umgelagert und die RTW-Besatzung begab sich zurück zum Fahrzeug

*geschätzte Zeit nach erstem Arzt-Kontakt in der Notaufnahme

 

Ursache

Kernproblem des Falls:
Hier wurde von nicht-ärztlichem Personal keine Zustandsbeschreibung, sondern eine (Tracer-) Diagnose als Schlagwort für die Klinikanmeldung verwendet.
Für Bayern gibt es als Handreichung der ÄLRD eine Checkliste zu den Minimalanforderungen an die Zielklilnik bei V.a. Sepsis: 

  • Notaufnahme 24/7 mit
    • Labor
    • Monitoring
    • Facharztstandard für Chirurgie und Innere Medizin
    • CT-Diagnostik 24/7
  • UND: Intensivstation

Allerdings handelt es sich bei der Präklinischen "Diagnose" Sepsis um eine Verdachtsdiagnose, deren Validität keineswegs als gesichert erscheint. Das nächste Krankenhaus in unmittelbarer Nähe anzufahren selbst wenn die mangelnde ITS-Kapazität von Beginn an bekannt gewesen sein sollte, wäre für eine nicht-ärztlich besetztes Rettungsmittel auf jeden Fall eine probate Lösung.

Fehlerbegünstigende Faktoren (nach London-Protokoll):

  • aufgaben- und prozessabhängig:
    • Begriff SEPSIS wird nicht überall mit den gleichen Konsequenzen und Schlussfolgerungen verbunden
  • teamabhängig:
    • Die Kommunikation erscheint an drei Stellen fehlerbehaftet:
      • RTW hat Anforderungen im Team nicht klar kommuniziert und nach außen nicht klar definiert
      • ILS hat nicht nachgefragt
      • KH hat Limitationen (ITS nicht aufnahmebereit) nicht mitgeteilt und nicht nachgefragt, welche Bett-Kategorie notwendig ist

In der entstandenen Akutsituation hat das Team nach einer kurzen Konfliktphase sehr zielorientiert gemeinsam zum Wohle des Patienten gehandelt.

  • individuell:
    • Es besteht eine ärztliche Behandlungspflicht, zumindest ab dem Zeitpunkt in dem der Patient sich im Wirkungskreis des aufnehmenden Arztes befindet. Dies scheint im vorliegenden Fall zumindest initial außer Acht gelassen worden zu sein.

Fehlerhafter Vorgang:

  • Kein Standard über die Versorgungsstufe eines Sepsis-Patienten.
    Hier wird ein vermutlich häufiger Vorgang beschrieben, der in allen Notaufnahmen so oder ähnlich stattfinden könnte: mangelhafte Kommunikation, differente mentale Modelle und Schlussfolgerungen aus der Verdachtsdiagnose Sepsis, verkannte Behandlungspflicht

Erkennbar implementierte Barriere‐/Abwehrmechanismen:
Die Anwendung der CRM-Prinzipien, in diesem Fall ganz explizit "Sei ein gutes Team-Mitglied mit Beharrlichkeit", hat auch geholfen den Fall einem guten Ausgang zuzuführen. Dieser Fall zeigt eindrucksvoll auf wie ein Mangel an Kommunikation RTW-ILS-KH zur Bedrohung für den Patienten werden kann, aber auch wie Kommunikation zur guten Lösung beigetragen hat.

 

Ergänzende Ausführungen:
Das Problem war in der Vergangenheit keine Seltenheit und wird in Zukunft häufiger auftreten, bedingt durch mehrere Faktoren, darunter die zunehmende Professionalisierung nichtärztlichen RD-Personals und sinkender Ressourcen in der Krankenhaus-Landschaft. Es werden immer häufiger bereits präklinisch Verdachtsdiagnosen gestellt, die jedoch einer ärztlichen Legitimation im aufnehmenden Krankenhaus bedürfen. Hieraus können, wie im vorliegenden Fall, Konfliktsituationen entstehen, die jedoch stets in Orientierung am Wohl des Patienten gelöst werden sollten.
Für diesen Fall ergibt sich auch eine emotionale Komponente - es fällt auf, dass alle Beteiligten großen Anteil am Schicksal des Patienten nehmen und eine gewisse Grund-Unzufriedenheit mit der Gesamtperformance der Schnittstelle Präklinik-Klinik deutlich wird. Schnittstellen sind aus CRM-Sicht häufig ein problematischer Bereich, und eine Verbesserung der Team-Leistung an Schnittstellen kann nur durch konsequentes Training erreicht werden. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Schnittstellen nur fernmündliche Kommunikation (Funk, Telefon) erlauben, die an sich schon einen Informationsverlust der non-verbalen Kommunikation (Körpersprachen, Haltung, Gestik ) von bis zu 55% mit sich bringt (A. Mehrabian, J Consulting Physiology, 1967).

Der Vorschlag eines Ablaufes im beschriebenen Fall wäre:

  1. RTW/NA meldet ein Zustands-/Krankheitsbild - hier: Sepsis; dazu sollte zwischen Rettungsdienst und ILS ein einheitliches Übergabe-/Übermittlungsschema etabliert sein. Ein solches Schema ist im Moment in Bayern in Erarbeitung.
  2. ILS prüft in ihrem Zielklinikverzeichnis, welche Kliniken im RDB eine Sepsis behandeln können. Um diese Information in der ILS hinterlegen zu können, müssen im Vorfeld Schnittstellengespräche geführt werden.
  3. Suche gemäß AV BayRDG nach der nächstmöglichen Behandlungseinrichtung, die diesen Patienten gemäß Regelungen für diese spezifische Tracer-Diagnose am schnellsten behandeln kann.
  4. ILS prüft anhand Behandlungskapazitätennachweis welche Klinik aufnahmebereit ist, dazu sollte zwischen Rettungsdienst und ILS ein einheitliches Übergabe-/Übermittlungsschema etabliert sein.
  5. ILS teilt dem RTW die nächste aufnahmebereite Behandlungskapazität mit.

 

Vom AAT vorgeschlagene Interventionsmaßnahmen

  • Es sollten regelmäßige Trainings aller im Rettungsdienst vorhandenen Schnittstellen angestrebt werden. Hierbei sollten alle teilnehmenden Akteure (Leitstellen, Notaufnahmen, Rettungsdienst-Personal) eingebunden werden.
  • Eine Nachbesprechung im Team im Sinne eines Debriefings und ggf. eine grundlegende Klärung durch den ÄLRD könnten zu einer systematischen Vermeidung des Fehlers beitragen.
  • Genauso wichtig erscheint es, dass alle an der Rettungskette Beteiligten die Tracer-Diagnose Sepsis kennen und mit den damit verbundenen Abläufen vertraut sind.
  • Es werden in diesem Fall keine "Betten" angemeldet, sondern die präklinische Verdachtsdiagnose Sepsis genannt, die eine definierte Versorgungskette in Gang setzt. Entsprechende Regelungen, auch auf lokaler Ebene, sollten zwischen den Beteiligten unter Federführung des ÄLRD erarbeitet werden.

 

Diese Meldung wird inhaltlich verantwortet vom Leiter des AAT 4, Prof. Dr. K.-G. Kanz.

 

Hinweis

Bitte beachten Sie, dass nicht jede durch ein AAT vorgeschlagene Interventionsmaßnahme auch durch die Steuerungsgruppe unmittelbar beschlossen werden kann. Nach erfolgter Beratung über die vorgeschlagenen Maßnahmen bzw. deren Umsetzung und unter Berücksichtigung finanzieller oder rechtlicher Aspekte werden nötigenfalls Änderungen innerhalb der beteiligten Organisationen und Institutionen getroffen. Die Steuerungsgruppe ist in einem solchen Fall immer bemüht, durch Abwandlung der Interventionsmaßnahme eine Umsetzbarkeit herzustellen. Leider ist dies jedoch nicht in jedem Fall möglich.
Bitte beachten Sie auch, dass die Lösungsvorschläge nicht immer bzw. nicht immer zeitnah und in gleicher Form für ganz Bayern umgesetzt werden können.
Aus Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit sind die von der Steuerungsgruppe beschlossenen Maßnahmen nicht einzeln bei der jeweiligen Meldung aufgeführt, sondern als Übersicht unter Interventionsmaßnahmen.

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