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Veröffentlichung des Falls am 16.04.2018
Ergänzung des Falles am 02.08.2018

Art des Zwischenfalls

Ein RTW-Team (zwei RettAss und ein NotSan-Schüler) wurde auf der Rückfahrt zur Wache zu Schichtende nochmals alarmiert; der Patient klagte über Herzrasen und Angina pectoris-ähnliche Beschwerden. Im 12-Kanal-EKG waren keine ST-Hebungen zu sehen ("neu aufgetretener verspäteter R/S Umschlag und neue S-Persistenz in V6, sonst regelrechtes EKG"), die Vitalparameter waren bis auf eine leichte Hypertonie unauffällig. Daher entschieden die beiden RettAss, den Patienten zur kardiologischen Abklärung in die Klinik zu fahren.

Der NotSan-Schüler, der seine erste Schicht in diesem Team hatte, vermutete jedoch ein akutes Koronarsyndrom (ACS), da der Patient auf erneute Nachfrage weiterhin einen retrosternalen Druck/Schmerz angab. Die beiden RettAss teilten seine Meinung jedoch nicht und transportierten den Patienten ohne weitere Maßnahmen und ohne Sondersignal zur Zielklinik. Da sich bereits bei einem vorangehenden Einsatz eine ähnliche Situation ereignet hatte - Hinweis des NotSan-Schülers, der seitens der RettAss nicht weiter berücksichtigt wurde - war sich der NotSan-Schüler nicht sicher, wie deutlich er auf die Verdachtsdiagnose ACS hinweisen sollte.

 

Ursache

Bei dieser Meldung lässt sich folgendes Kernproblem identifizieren:
Kommunikation und Teamstruktur (Situation, Organisation).

Unabhängig von der tatsächlichen Diagnose scheint es Kommunikationsdefizite bei der Äußerung einer vermuteten Diagnose im Team gegeben zu haben. Der NotSan-Schüler war bei diesem Einsatz verunsichert, wie deutlich er seine Vermutung ansprechen sollte. Möglicherweise wollten die RettAss wegen des Zeitpunkts des Einsatzes (bereits Schichtende) den Einsatz auch möglichst schnell arbeiten und gingen deshalb der Symptomatik und der Verdachtsdiagnose des NotSan nicht weiter nach.
Unabhängig von der eigenen Hierarchiestufe und der aktuellen Situation sollte jedoch jedes Teammitglied die Möglichkeit bekommen, im Team potenzielle Fehlerquellen oder Sicherheitsprobleme anzusprechen und Ideen anzubringen, um ein Sicherheitsrisiko für den Patienten zu verringern. Voraussetzungen für dieses laute Aussprechen von Bedenken, häufig als „speaking up“ bezeichnet, sind gegenseitige Wertschätzung der Teammitglieder, gemeinsames Herangehen an Lösungen und ein offener Umgang mit Fehlern, d.h. dem gemeinsamen Streben nach Verbesserungen und nicht der Suche nach Schuldigen. Geringschätzung von Kollegen oder brüskes Abweisen aufgrund ihrer niedrigeren Hierarchiestufe hingegen fördert das Schweigen und kann somit das Patientenwohl gefährden.

Daher ist es wichtig, ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen, wie und wann Sicherheitsbedenken oder Verdachte angesprochen werden sollten. Diese Art von Kommunikation sollte auf organisationaler Ebene als Sicherheitskultur etabliert werden und mit einer Schulung aller Beteiligten in entsprechenden Maßnahmen wie dem Verwenden von „speaking up“ einhergehen. Neben „speaking up“ kann verbesserte Kommunikation u.a. durch standardisierte Vorgehen wie dem Konzept SBAR (Situation, Background, Assessment, Recommendation), das von der WHO zur Erhöhung der Patientensicherheit empfohlen wird, realisiert werden. Hierbei werden im Team die aktuelle Situation zusammengefasst und Informationen zur Anamnese des Patienten ausgetauscht. Zusätzlich werden die Vitalparameter beobachtet und auf Basis dessen das weitere Vorgehen geplant. Bei jedem Schritt werden alle Teammitglieder einbezogen und gefragt, ob sie etwas hinzuzufügen haben, um nichts zu übersehen.

 

Weitere Meldung

Eine ähnliche Situation wird in einer weiteren Meldung beschrieben. Ein RTW-Team wurde zu einem Traumapatienten alarmiert. Während der Übergabe durch die Besatzung eines anderen Rettungsmittels, das bereits vor Ort war, beauftragte der NotSan den RS, die Trage für den Patienten des RTW zu holen. Der Patient wurde dann sofort auf die Trage gelegt, wobei dem Notsan auffiel, dass sich keine Immobilisationsmöglichkeit auf der Trage befand. Laut Melder wurde eine Ganzkörperimmobilisation im weiteren nicht durchgeführt, da der Patient beim Eintreffen stand und sich selbst bewegt hatte, zudem verzichtete die RTW-Besatzung darauf, den Patienten noch einmal zu mobilisieren um eine Vakuummatratze auf die Liege legen zu können.
Im Nachgang gaben sowohl der NotSan als auch der RS an, den Gedanken gehabt zu haben, den Patienten auf die Vakuummatratze zu legen. Allerdings kommunizierte diesen Gedanken keiner der beiden – der NotSan aufgrund der Ablenkung durch die laufende Übergabe, der RettAss aus Unsicherheit, ob er eigenmächtig diese Entscheidung treffen kann und unter der Annahme, dass der NotSan es schon gesagt hätte, wenn er die Vakuummatratze haben möchte.

 

Ursache

Es scheint zum einen Kommunikationsdefizite hinsichtlich der Äußerung der eigenen Meinung im Team gegeben zu haben. Der RS war der Meinung, dass es notwendig sei, die Vakuummatratze zu holen, hatte aber keine entsprechende Anweisung vom NotSan bekommen und war sich unsicher, ob er eigenmächtig diese Entscheidung treffen bzw. Bedenken äußern darf. Auch dieser Fall zeigt auf, dass es wichtig ist, unabhängig von der eigenen Hierarchiestufe Entscheidungen zu hinterfragen und Bedenken oder eigene Vorschläge laut zu äußern, um Sicherheitsrisiken für den Patienten zu verringern.

Zudem zeigt die Tatsache, dass die Anweisung des NotSan aufgrund der laufenden Übergabe nicht der Situation angemessen war, wie wichtig es ist, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und nicht mehrere Aufgaben parallel zu bearbeiten. Nur so kann ein hohes Situationsbewusstsein ("situation awareness"), d.h. ein genaues Verständnis der aktuellen Lage, erlangt werden. Um dies auch im gesamten Team zu erreichen, sollten standardisierte Vorgehen verwendet werden, wie zum Beispiel SBAR oder ein sog. Team Time-Out. Hierbei wird im Team die aktuelle Situation zusammengefasst und auf Basis dessen das weitere Vorgehen geplant. Währenddessen ruhen alle nicht-lebensnotwendigen Maßnahmen, um die Aufmerksamkeit voll auf den Informationsaustausch richten zu können.

 

Vom AAT vorgeschlagene Interventionsmaßnahmen

  • Durchführung von CRM- und Simulations-Teamtrainings mit Fokus auf Kommunikation und Teamwork könnte helfen, sicherheitsrelevante Bedenken zu äußern.
  • Eine strukturierte/standardisierte Kommunikation hinsichtlich Patientenzustand (z. B. mittels SBAR) könnte ein gemeinsames Verständnis der Situation und der erforderlichen Maßnahmen schaffen.

 

Von der Steuerungsgruppe am 03.07.2018 beschlossene Interventionsmaßnahmen

  • Es wurde bereits ein Arbeitsauftrag an die AG 6 - Fortbildung als Beschlussantrag RDA erteilt (Vermittlung der Lerninhalte Human Factor und CRM).

 

Hinweis

Bitte beachten Sie, dass nicht jede durch ein AAT vorgeschlagene Interventionsmaßnahme auch durch die Steuerungsgruppe beschlossen werden kann. Die Ursache hierfür ist in der Regel fehlende Umsetzbarkeit aus finanziellen oder rechtlichen Gründen. Die Steuerungsgruppe ist in einem solchen Fall bemüht, durch Abwandlung der Interventionsmaßnahme eine Umsetzbarkeit herzustellen. Auch dies ist jedoch nicht in jedem Fall möglich.

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